Wirbelsturm im Material: Dresdner Physiker gewinnt Preis für weltweit erste Abbildung eines 3D-Magnetfelds

Überblick

Ein Dresdner Forschungsteam um den Festkörperphysiker Dr. Axel Lubk hat es geschafft, das Magnetfeld winziger magnetischer Nanowirbel – Skyrmionen genannt – mit einer sieben Millionstel Millimeter genauen Auflösung dreidimensional abzubilden. Das ist zum ersten Mal überhaupt gelungen. Für ihre Pionierleistung wurden die Wissenschaftler:innen jetzt von der Europäischen Gesellschaft für Mikroskopie (EMS) mit dem Outstanding Paper Award 2021 für Materialwissenschaft ausgezeichnet. Projektleiter Lubk ist Mitglied des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien. Er übernimmt ab August die CEOS-Stiftungsprofessur für Elektronenoptik, eine gemeinsame Berufung der Technischen Universität (TU) Dresden und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden.

 

Das revolutionär Neue an dem Forschungserfolg aus Dresden: Bisher gab es lediglich zweidimensionale Abbildungen dieser als Skyrmionen bezeichneten Objekte, entweder auf der Materialoberfläche oder als Projektion. Damit ging allerdings die Tiefenauflösung komplett verloren und es war daher beispielsweise nicht unterscheidbar, was sich vorn und was sich hinten befindet. Die nun möglich gewordene räumliche Darstellung ist ein Meilenstein auf dem Gebiet des Nanomagnetismus und der „Spintronik“, bei der die Skyrmionen künftig die Bits und Bytes als Einheiten für die Datenspeicherung ersetzen könnten.

 

Dabei konnte das zugrundeliegende Experiment des Dresdner Forschungsteams im Februar 2020 nur noch mit viel Glück am Ernst-Ruska Zentrum in Jülich durchgeführt werden. Denn unmittelbar danach wurde das Forschungszentrum aufgrund der Corona-Pandemie lange Zeit für externe Experimente gesperrt. „Als wir die gewonnenen Daten anschließend in Dresden ausgewertet haben, war unsere Freude riesengroß. Wir haben es tatsächlich geschafft, das Magnetfeld dieser Wirbel dreidimensional sichtbar zu machen. Heute bekommen wir dazu Anfragen aus der ganzen Welt“, berichtet Dr. Lubk, der gegenwärtig Gruppenleiter am IFW ist.

 

Skyrmionen – Hype in der Informationstechnologie

Bisher werden Informationen hauptsächlich halbleiterbasiert, das heißt über einen Fluss von Elektronen gespeichert und verarbeitet. Doch die elektronischen Systeme sind in ihrer Leistung begrenzt. Die Suche nach Alternativen beschäftigt Forschung und Industrie weltweit, die optische sowie auch die Spintronik genannte magnetische Informationsverarbeitung rücken zunehmend in den Fokus. Grund für den Forschungshype um die magnetischen Wirbel, die Skyrmionen: Mit ihrer Hilfe könnten Daten künftig äußerst energieeffizient und platzsparender transportiert werden. Die winzigen, zehn bis 100 Nanometern kleinen Skyrmionen gehören zu den topologischen Quantenphänomenen, die im Exzellenzcluster ct.qmat erforscht werden. Sie sind äußerst stabil und lassen sich leicht manipulieren.

 

„Bislang hatte die Fachwelt ausschließlich ein zweidimensionales Bild der Skyrmionen, die viel Potenzial für die neuartige Speicherung und Verarbeitung großer Informationsmengen bieten. Die dreidimensionale Abbildung ist ein echter Meilenstein für die Festkörperphysik. Erstmals konnten wir sehen, wie verbogen diese Wirbelstürme sind und wie sie sich gegenseitig beeinflussen“, kommentiert Prof. Matthias Vojta, Dresdner Sprecher des Exzellenzclusters ct.qmat.

 

Die Geschichte der Pionierleistung aus Dresden

Im Jahr 2006 wurden die magnetischen Skyrmionen theoretisch vorhergesagt. 2009 konnten sie erstmalig indirekt experimentell nachgewiesen werden. 2010 gelang die erste direkte zweidimensionale Abbildung. Dem Forschungsteam um Dr. Lubk ist es nun zum ersten Mal geglückt, alle drei Dimensionen des Magnetfelds von Skyrmionen mit einer Auflösung von wenigen Nanometern abzubilden. Hierfür hat das Team Eisengermanium (FeGe) mittels tomografischer Methoden im Transmissionselektronenmikroskop untersucht.

 

„Die größte Herausforderung in unserem Forschungsprojekt war das experimentelle Setting. Fünf Monate lang haben wir eine Halterung für die Probe entwickelt, damit sie sich 360 Grad mitdrehen kann. Am Ende konnten wir nur durch die Kombination verschiedener technischer Methoden und Weiterentwicklungen sehen, dass die Nanowirbel eigentlich Schläuche sind“, so Dr. Lubk. „Die Skyrmionenschläuche bewegen sich wie Wirbelstürme im Material, und wenn ihnen ein anderer Wirbelsturm zu nah kommt, verändern sie sich.“ Die Forschungsergebnisse wurden im März 2022 im Fachjournal „Nature Nanotechnology“ publiziert. Im Mai 2022 erhielt das Autorenteam für die dreidimensionale Abbildung der magnetischen Struktur der Skyrmionenschläuche, die Identifizierung ihrer strukturellen Details und die Messung ihrer Energiedichte den Outstanding Paper Award 2021 für Materialwissenschaft der EMS.

 

Ausblick

An der Forschungsleistung waren Dresdner Forschende des Exzellenzclusters ct.qmat, des IFW Dresden, der TU Dresden und des Max-Planck-Instituts für chemische Physik komplexer Systeme beteiligt. Das Experiment wurde von Dr. Daniel Wolf (IFW) am Forschungszentrum Jülich durchgeführt. Die spezielle Halterung der Probe, welche die tomografischen Aufnahmen erst ermöglichte, wurde von Dr. Sebastian Schneider (TU Dresden) entwickelt.

 

Nach der dreidimensionalen Abbildung und Charakterisierung von Skyrmionenschläuchen konzentriert sich das Dresdner Forschungsteam auf die Analyse weiterer 3D-nanomagnetischer Phänomene und die Suche nach Materialien, in denen die magnetischen Wirbelstürme bei Raumtemperatur und ohne externes Magnetfeld entstehen. Zeitgleich arbeiten die Forscher:innen an der Weiterentwicklung des experimentellen Aufbaus, um die Methode der weltweiten Wissenschaftscommunity zugänglich zu machen.

Galerie

Daten & Fakten

30.05.2022

 

Outstanding Paper Award

Die EMS (European Microscopy Society) verleiht jährlich den Outstanding Paper Award in drei Kategorien. Eine Jury wählt jeweils die für den Bereich Mikroskopie bedeutendste Publikation aus. Der Preis ist mit 1.000 Euro dotiert und wurde in diesem Jahr im Mai auf der PICO-Konferenz in Jülich verliehen.

 

Exzellenzcluster ct.qmat

Das Exzellenzcluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter (Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien) wird seit 2019 gemeinsam von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der TU Dresden getragen. Mehr als 270 Wissenschaftler:innen aus 34 Ländern und von vier Kontinenten erforschen topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren. Das Exzellenzcluster wird im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert – als einziges bundeslandübergreifendes Cluster in Deutschland.

 

Abbildung Header

3D-Volumendarstellung des Magnetfelds von Skyrmionenschläuchen im Innern einer FeGe-Probe. Die Richtung des magnetischen Felds ist farbcodiert und im ganzen Raum dargestellt. In der Mittellage der Probe ist das Magnetfeld zusätzlich mit Pfeilen abgebildet. Der Abstand zweier Schläuche beträgt ca. 100 nm. © Daniel Wolf

 

Abbildung

Blick ins Innere eines verbogenen Skyrmionenschlauchs. Die Richtung des magnetischen Felds ist farbcodiert. Zusätzlich zeigen Pfeile die Richtung des Magnetfelds in der Mittellage. © Daniel Wolf

 

Publikation

Daniel Wolf, Sebastian Schneider, Ulrich K. Rößler, András Kovács, Marcus Schmidt, Rafal E. Dunin-Borkowski, Bernd Büchner, Bernd Rellinghaus and Axel Lubk, Unveiling the three-dimensional magnetic texture of Skyrmion tubes, Nature Nanotechnology 17 (2022) 250–255.

 

Ansprechpartnerin für Journalist:innen

Katja Lesser, Referentin für Wissenschaftskommunikation Exzellenzcluster ct.qmat, Tel: +49 351 463 33496, katja.lesser@tu-dresden.de 

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