Elektronen in der Warteschlange: Neues Modell erklärt 3D-Quantenmaterial

Überblick

Wissenschaftler:innen des Exzellenzclusters ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien haben ein neues Verständnis davon entwickelt, wie sich Elektronen in starken Magnetfeldern verhalten. Damit lassen sich erstmals Messungen erklären, die sich während der Stromleitung in dreidimensionalen metallischen Materialien wie ein Quanten-Hall-Effekt äußern – ein Zustand, der bislang ausschließlich mit zweidimensionalen Metallen in Verbindung gebracht wurde. Dieser neue „3D-Effekt“ kann die Grundlage für topologische Quantenphänomene sein, die als besonders robust gelten und sich damit besonders gut für extrem leistungsfähige Quantentechnologien eignen. Die Forschungsergebnisse wurden aktuell in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.


Dr. Tobias Meng und Dr. Johannes Gooth sind Nachwuchswissenschaftler des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat, in dem seit 2019 topologische Quantenmaterialien erforscht werden. Als es dann in einer wegweisenden „Nature“-Veröffentlichung hieß, dass sich Elektronen im topologischen Metall Zirkonium-Penta-Tellurid (ZrTe5) immer nur zweidimensional bewegen wollen – selbst wenn das Material drei Dimensionen hat – konnten sie das kaum glauben. Deshalb begannen Meng und Gooth mit ihrer eigenen Forschung sowie Experimenten am ZrTe5-Material. Meng von der Technischen Universität Dresden (TUD) entwickelte das theoretische Modell, Gooth vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe die Experimente. Sieben Messungen mit verschiedenen Methoden brachten immer das gleiche Ergebnis.


Elektronen warten auf den Einsatz 
Die Forschungsarbeit von Meng und Gooth stellt einen Gegenentwurf dar zum bisherigen Verständnis des Hall-Effekts in dreidimensionalen Materialien: Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die Elektronen überall im Metall dreidimensional bewegen wollen. Trotzdem können sie in ihrer Stromleitung zweidimensional wirken. Im topologischen Metall Zirkonium-Penta-Tellurid wird dies möglich, weil ein Teil der Elektronen erst noch auf ihren Einsatz wartet. Ein äußeres Magnetfeld gibt ihnen den Startschuss.


„Die Art, wie sich Elektronen bewegen, ist in allen unseren Messungen gleich und entspricht dem, was wir sonst nur vom Quanten-Hall-Effekt in zweidimensionalen Materialien kennen. Allerdings drehen sich unsere Elektronen spiralförmig nach oben, nachdem sie aus einer kreisförmigen Bewegung in der Ebene herausgekommen sind. Das geben sowohl der Quanten-Hall-Effekt als auch die bisherigen Erklärungsversuche für das Material ZrTe5 nicht her“, kommentiert Meng die Entstehung des neuen wissenschaftlichen Modells. „Es funktioniert nur, weil sich nicht immer alle Elektronen bewegen. Manche ruhen, so als würden sie in einer Warteschlange stehen. Erst wenn wir das externe Magnetfeld erhöhen, werden sie aktiv.“  


Modell durch Messungen bestätigt
Für ihre Untersuchungen haben die Wissenschaftler:innen das topologische Quantenmaterial ZrTe5 auf eine ultratiefe Temperatur von etwa -271 Grad Celsius gekühlt und ein externes Magnetfeld aufgebaut. Anschließend schickten sie für elektrische und thermoelektrische Messungen Strom durch das Metall. Sie untersuchten thermodynamisch die magnetischen Eigenschaften der Probe und legten Ultraschall an. Nicht zuletzt schauten sie mittels Röntgen-, Raman- und elektronenspektroskopischer Messverfahren ins Innere. Ergebnis: „Keine unserer sieben Messungen deutet darauf hin, dass sich Elektronen in diesem 3D-Metall immer nur zweidimensional bewegen wollen“, erklärt Meng, Leiter der Emmy Noether-Forschungsgruppe für Quantum Design an der TUD und theoretischer Kopf der aktuellen Publikation. „Eigentlich ist unser Ansatz sogar ziemlich einfach und erklärt dennoch alle Messdaten perfekt.“


Ausblick für topologische Quantenmaterialien in 3D
Der nobelpreisgekrönte Quanten-Hall-Effekt wurde 1980 entdeckt und beschreibt die stufenweise Leitung von Strom in einem Metall. Er gilt als wichtigste Grundlage für die topologische Physik, die seit 2005 bei der Fahndung nach den Werkstoffen des 21. Jahrhunderts einen Boom erlebt. Bisher wurde der Quanten-Hall-Effekt aber nur in zweidimensionalen Metallen nachgewiesen. Die Forschungsergebnisse der nun vorliegenden Publikation erweitern das bisherige Verständnis davon, wie sich dreidimensionale Materialien in Magnetfeldern verhalten. Die beiden Cluster-Wissenschaftler setzen die Arbeiten in diesem neuen Forschungsbereich fort: „Wir wollen die ‚Elektronen-Warteschlange’ auf jeden Fall weiter erforschen“, so Meng.
 
Beteiligte
An der Publikation sind neben Mitgliedern der Forschungsgruppe für Quantum Design von Tobias Meng an der TU Dresden auch die Wissenschaftler:innen um Johannes Gooth vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe beteiligt. Am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf wurden Ultraschallmessungen durchgeführt.

Galerie

Daten & Fakten

28.05.2021

 

Publikation
Galeski et al., Origin of the quasi-quantized Hall effect in ZrTe5, Nature Communications 12, 3197 (2021). https://www.nature.com/articles/s41467-021-23435-y


Kontakt
Dr. Tobias Meng, Leiter Emmy Noether-Nachwuchsgruppe für Quantum Design, Institut für Theoretische Physik, Technische Universität Dresden, Phone: +49-351-463-32847, tobias.meng@tu-dresden.de

 

Dr. Johannes Gooth, Leiter Forschungsgruppe für Nanostrukturierte Quantenmaterie, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden, Phone: +49-351-4646-3324, johannes.gooth@cpfs.mpg.de 

 

Katja Lesser, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Exzellenzcluster ct.qmat, Tel: +49 351 463 33496, 
katja.lesser@tu-dresden.de 


Bild
Die Abbildung zeigt Elektronen, die in einem topologischen Quanten-Metall darauf warten, zum Einsatz zu kommen. Sobald ein externes Magnetfeld angelegt wird, bewegen sie sich auf einer Helixspirale nach oben – im Gegensatz zur bisherigen Vermutung, dass sie nur kreisförmig in einer zweidimensionalen Ebene agieren würden. Damit erzeugen sie einen besonderen Effekt, der die Grundlage für vielversprechende topologische Quantenphänomene ist. Urheber: Jörg Bandmann


Exzellenzcluster ct.qmat
Das Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien wird seit 2019 gemeinsam von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Technischen Universität (TU) Dresden getragen. Mehr als 250 Wissenschaftler:innen aus 33 Ländern und vier Kontinenten erforschen topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren. Gelingt es, diese besonderen Eigenschaften unter Alltagsbedingungen nutzbar zu machen, wird das die Basis für revolutionäre Quantenchips und neuartige technische Anwendungen sein. Das Exzellenzcluster wird im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert.

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